Ausgabe Schwäbische Zeitung, 08. August 2023
Interview:
So würden die Freien Wähler einem finanziellen Engpass begegnen
Freie-Wähler-Fraktionssprecher Werner Binder im SZ-Sommergespräch
Von Gregor Westerbarkei
Landkreis Biberach
Im SZ-Sommergespräch äußern sich Vertreter der Fraktionen im Kreistag des Landkreises Biberach zu Themen, die das Gremium derzeit besonders beschäftigen. Im zweiten Teil der Reihe kommt Werner Binder, Sprecher der Freien Wähler im Kreistag, zu Wort.
Der Landkreis muss derzeit Rekordzahlen bei den zugewiesenen Geflüchteten bewältigen. Wie schätzen Sie die Situation ein?
Die Situation im Landkreis ist angespannt, aber das Sozialdezernat um Dezernentin Frau Alger und vor allem um Amtsleiter Jürgen Kraft und sein Team im Amt für Flüchtlinge und Integration machen hier sehr gute Arbeit. Auch die Gemeinden spielen eine große Rolle bei der Anschlussunterbringung. Dies funktioniert im Schulterschluss mit dem Kreis und allen Gemeinden ganz gut – die einen sind aktiver, die anderen weniger. Bei kleineren Gemeinden ist es schwieriger, geeignete Unterkünfte zu finden.
Wenn ich teilweise die Geschichten der Menschen höre, die wegen Krieg oder Verfolgung zu uns kommen, stelle ich fest, dass ich in derselben Situation auch mit meiner Familie fliehen würde. Das sind Menschen, die Hilfe brauchen. Das muss man auch denen ins Gesicht sagen, die immer nur wettern und keine bessere Lösung haben. Wir können alle froh sein, dass wir in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung leben dürfen.
Für eine geordnete Zuwanderung und somit auch für eine Akzeptanz sind allerdings der Bund und die EU verantwortlich. Nur wenn das gelingt, bekommen wir auch Entlastung nach unten. Ich finde zum Beispiel gut, dass man die Bleibeperspektive der Menschen prüft, bevor man sie auf die Landkreise und Gemeinden verteilt. Sonst investiert man Zeit, ehrenamtliches Engagement und Hingabe und plötzlich müssen die Leute wieder gehen. Ein wichtiger Punkt ist auch, dass die Geflüchteten sofort arbeiten sollten. Denn Arbeit ist gelebte Integration. Wir haben überall Bedarf und nutzen dieses Potenzial nicht.
Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg haben in den vergangenen Jahren viele Themen in den Hintergrund gedrängt. Dazu gehört auch der Kampf gegen den Klimawandel. Wie sehen Sie den Landkreis hier aufgestellt?
Wenn man sich die batteriebetriebene Fahrzeugflotte, die CO2-neutralen Neubauprojekte wie das Schülerwohnheim in Biberach oder die hohen Standards bei Sanierungen wie zum Beispiel bei der Berufsschule in Riedlingen ansieht, dann macht der Landkreis schon sehr viel und nutzt seine finanziellen Möglichkeiten sinnvoll. Ein weiteres Beispiel ist die Gründung und Beteiligung am Landschaftserhaltungsverband. Was wir schon lange noch vermehrt einfordern, ist mehr beim Straßenbegleitgrün anzulegen.
Für das Haushaltsjahr 2022 hat der Landkreis zuletzt ein sehr gutes Ergebnis verkündet. Die weitere Prognose fiel dagegen weniger euphorisch aus. Die Erhöhung der Kreisumlage, aktuell die niedrigste in Baden-Württemberg, könnte ein Thema werden. Wie bewerten Sie die Finanzsituation?
Finanziell steht der Landkreis sehr gut da. Aber gerade erleben wir wirtschaftlich eine Eintrübung. Die Frage ist, wie stark wir Kommunen und der Landkreis betroffen sein werden. Themen wie Inflation, Energieknappheit, verteuerte Energie, politische Wirrungen und Krieg belasten Wirtschaft und die Bürger. Die Folge wird sein, dass die Steuereinnahmen sinken und geringer zur Verfügung stehen werden. Wenn der Landkreis jetzt die Kreisumlage erhöht, dann schmälert das auch den dringend notwendigen finanziellen Gestaltungsspielraum in den Kommunen. Da bin ich eher der Meinung, dass der Kreis sich strecken und Projekte verschieben muss. Das Schlechteste wäre, an Freiwilligkeitsleistungen ranzugehen, die auch zum hohen Standard im Landkreis und zum guten Zusammenleben beitragen.
Sehen muss man auch die Aufgabenzuwächse auf kommunaler Ebene. Da geht es um zusätzliches Personal, da geht es um zusätzliche Gelder, die der Kreis zuschießen muss. Da fallen mir spontan Wohngeld, Bürgergeld oder Bundesteilhabegesetz ein, das ein bürokratisches Monster ist. Man fragt sich, ob die Gelder, die man für die Bürokratie aufwendet, nicht sinnvoller beim Bürger aufgehoben wären. Unsere Forderung ist, dass man Bürokratie und Standards senkt und dadurch neue Spielräume schafft. Das fordern auch Landkreis- und Gemeindetag. Weil wir versuchen, alles gut zu erledigen, fällt in Berlin oder Stuttgart nicht auf, dass wir schon lange an unsere Grenzen stoßen. Der Gemeindetagspräsident bezeichnet die kommunale Ebene als Wahrheit der Wirklichkeit und an dieser Wirklichkeit sollte sich die Politik ausrichten.
Seit Jahren wird auch im Landkreis Biberach über die Mobilität der Zukunft diskutiert. Was ist Ihnen hier wichtig?
Der Kreis macht auch hier schon sehr viel. Auf der Südbahn wird nach der Elektrifizierung die Kreisverwaltung nun in die Planung für mögliche zusätzliche Haltepunkte einsteigen. Des Weiteren hat der Kreis in einen 30-Minuten-Takt zwischen Ulm und Biberach investiert. Eine Ost-West-Verbindung mit Regiobus wird aufgebaut und auch im Stadtverkehr Laupheim investiert der Kreis. Bei der Donautalbahn besteht das Problem, dass viele Player unter einen Hut zu bringen sind – Deutsche Bahn, Bund, Land, mehrere Landkreise und angrenzende Kommunen. Die Bahn geht davon aus, dass es zehn bis 15 Jahre dauern wird, bis die Infrastruktur ertüchtigt ist.
Ganz schlecht ist, dass das Land die Mobilitätsgarantie propagiert, aber keine Gelder zur Verfügung stellt. Und dann will man mit dem Mobilitätspass eine Ermächtigung schaffen, sich beim Bürger Geld zu holen. Das mag für Stuttgart, Mannheim oder Heidenheim funktionieren, aber im ländlichen Raum mache ich da ein riesiges Fragezeichen dahinter. Aber wenn das Land das möchte, dann muss das Land dem Kreis auch die Mittel nach dem Konnexitätsprinzip zur Verfügung stellen. Mir wäre ohnehin viel lieber, man würde zunächst die vorhandenen Schieneninfrastrukturen ertüchtigen.
Beim Radwegenetz hat der Landkreis auch schon viel getan. Natürlich gibt es noch Lücken, aber wir haben im Haushalt auch die Mittel für den Ausbau erhöht.
Im Landratsamt gibt es Überlegungen, in Form eines Eigenbetriebs Immobilien Wohnraum für Mitarbeiter, Auszubildende oder Geflüchtete zu schaffen. Was halten Sie von dieser Idee?
Wir finden die Idee gut, die Liegenschaften für Geflüchtete, Mitarbeiter, Azubis oder die Ärzteschaft zur ambulanten Versorgung wie bereits z.B. in Laupheim oder Riedlingen zur Verfügung zu stellen. Container zur Flüchtlingsunterbringung müssen teuer bezahlt werden, sind aber irgendwann wieder abgebaut. Bei baulichen Lösungen mit Häusern können diese später anderweitig genutzt werden. Für uns ist allerdings klar, dass sich dieser Eigenbetrieb Immobilien selbst finanzieren muss. Es kommt ja immer wieder die Frage auf, ob der Landkreis oder die Kommunen sich im sozialen Wohnungsbau engagieren sollten. Wir haben im Landkreis einige Genossenschaften, die hier tätig sind. Auch die Kreissparkasse betreibt teilweise Wohnungsbau. Ich glaube, das sollte man den Profis überlassen und der Landkreis hätte mit dem Eigenbetrieb Immobilien und der Betreuung seiner Liegenschaften schon genug Arbeit.
Die Gesundheitslandschaft im Kreis Biberach hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verändert. Worauf kommt es hier nun aus Ihrer Sicht an?
Hier ist es uns wichtig, dass die ambulanten Strukturen unterstützt werden, auch wenn es keine Aufgabe eines Landkreises ist. So stellt der Kreis einige Gebäude für Ärzte zur Vermietung bereit. In Laupheim wird gerade das Ärztehaus in Teilen saniert. Es muss nur wirtschaftlich darstellbar sein.
Wie bewerten Sie Arbeitsatmosphäre im Kreistag? Würden Sie sagen, dass die Fraktionen sich inhaltlich angenähert haben?
Die Zusammenarbeit ist sehr gut. Ich finde, auf kommunaler Ebene darf Parteipolitik keine Rolle spielen, da geht es um Sachthemen und gesetzliche Vorgaben. Und die müssen für den Kreis und die Bürger sauber abgearbeitet werden. Wir als Freie Wähler im Landkreis Biberach haben ja keine Partei im Hintergrund und wir sind uns in der Fraktion auch einig, dass es mit der Partei Freie Wähler keine Zusammenarbeit geben soll.